Mit dem Blick von heute wirkt das Projekt der Nordtangente in Münster schon arg aus der Zeit gefallen. Eine Verbindungsstraße sollte die Steinfurter Straße im Norden mit dem Schiffahrter Damm im Osten verbinden. Erhofft war eine Entlastung des Rings und eine völlig neue Wegeverbindung im Nordosten der Stadt.
Letztlich wäre der Bau der Nordtangente sogar die Fortsetzung bzw. Verlängerung der Umgehungsstraße gewesen. Eine Fahrt von Süden bis Norden um die Stadt herum wäre möglich gewesen (wenngleich ein erheblicher Umweg).
Ein Blick auf das Projekt zeigt, wie anders Verkehr vor 20 Jahren noch gedacht wurde – und wie letztlich ähnliche Überlegungen wie heute zum Ende der Straße geführt haben.
Die Geschichte der Nordtangente geht zurück bis in die Mitte der Siebzigerjahre. Schon damals war die als III. Nordtangente geplante Trasse Teil des Gesamtverkehrsplans und des Flächennutzungsplans. Die ersten Überlegungen entstanden im Rahmen der kommunalen Neugliederung um 1975, während derer die Stadt Münster deutlich wuchs, weil verschiedene Nachbargemeinden der Stadt Münster zugeschlagen wurden, darunter Hiltrup, Handorf oder Wolbeck. Münsters Einwohnerzahl stieg damals sprunghaft um 65.000 Menschen an.
Die neue Größe der Stadt erforderte offenbar auch Veränderungen in der Infrastruktur. Eine neue Straße sollte die beiden Stadtteile Kinderhaus und Coerde noch besser anbinden. Dazu sollte eine vierspurige Straße von der Steinfurter Straße, etwa in Höhe des Abzweigs Wilkinghege, Richtung Kinderhaus führen.
Die Idee war, die Kanalstraße als Erschließungsstraße für das wachsende (Büro-)Zentrum Nord zu entlasten. Zugleich sollte auch die Verbindung zwischen Kinderhaus und Coerde über Bröderichweg und Königsberger Straße vom Durchgangsverkehr befreit werden. Auch der Ring zwischen Steinfurter Straße und Kanalstraße sollte entlastet werden.
Die Trasse war geplant als vergleichsweise gerade Strecke über die Gasselstiege hinweg, dann als Querung der Grevener Straße weiter in Richtung Hoher Heckenweg, wo die Trasse einen leicht nach Süden reichenden Schlenker macht, um das Edelbachtal zu durchqueren und am Ende kurz vor der Kanalbrücke am Schiffahrter Damm (nahe der Schleuse) anzudocken (siehe Artikelfoto oben).
Verschiedene Grünflächen und Parklandschaften in Kinderhaus und in Coerde wären dabei geteilt worden, obwohl verschiedene flache Brückenkonstruktionen für die Überquerung von Bächen geplant waren. Das alles sorgte schon früh für Kritik. Umweltverbände schlugen Alarm, aber auch Anwohner in den Stadtteilen. Wer in den Neunzigerjahren über die Gasselstiege von Kinderhaus Richtung Stadt fuhr, konnte sogar die geplante Trasse erkennen, denn Markierungen auf den Feldern gaben einen Eindruck über den Verlauf der geplanten Straße.
Aus heutiger Sicht wirkt die gesamte Planung völlig deplatziert und irgendwie muss sich dieser Gedanke irgendwann auch in den Behörden und in der Politik durchgesetzt haben.
Im November 1995 beschloss der Rat der Stadt Münster, diese III. Nordtangente nicht weiter zu verfolgen. Die geplante Strecke blieb allerdings im Flächennutzungsplan weiter erhalten, noch 1999 warb u.a. die IHK Münster, die Handwerkskammer und teilweise auch die Politik für eine Fortschreibung, um sich die Flächen zu sichern. In einem gesamtstädtischen Verkehrsgutachten wurde die Bedeutung der Straße für die Gewerbegebiete Zentrum Nord, Nienkamp oder auch den Schiffahrter Damm als besonders wichtig betont. Dennoch wurde aus den Plänen nie mehr als eine Diskussion.
Ab 2010 beförderte die Politik das Projekt auch offiziell in den Papierkorb. Da beschloss der Rat, alle Vorbereitungen zu treffen, um die Trasse aus dem Flächennutzungsplan zu entfernen. „Die Trasse der III. Nordtangente bzw. Entlastungsstraße Nord zwischen der Steinfurter Straße und dem Schifffahrter Damm wird aus dem Flächennutzungsplan (FNP) gestrichen. Das hierzu erforderliche Änderungsverfahren ist unter gleichzeitiger Einstellung aller weiteren Planungs- und Prüfverfahren für die III. Nordtangente unverzüglich einzuleiten„, hieß es.
Das wurde dann 2013 auch umgesetzt.